Ich und die Politik
Fernsehen/Radio -> Bücher -> Tageszeitungen -> Magazine -> Internet.
Das ist meine "Medienkarriere" und in dieser Reihenfolge kamen auch Informationen über das politische Tagesgeschehen zu mir. Als ich noch nicht lesen konnte waren Fernsehen und Radio meine Informationsquelle. Aber ich verstand nur wenige Worte, hörte immer Berichte über Politiker, Parteien, Beschlüsse, Krieg, Frieden und anschließend immer Fußball.
Ich lernte Lesen, war in der glücklichen Lage, von Anfang an einen gut gefüllten Bücherschrank im Zimmer zu haben. So futterte ich mir Wissen an, kannte als Drittklässler die Urknalltheorie, verstand als Viertklässler die Evolution, konnte als Fünftklässler meine Relilehrerin mit einer genauen Beschreibung der Erdgeschichte beeindrucken (Ihre perplexe Reaktion: "Du bist ja ein echter Wissenschaftler!", was ich verneinte, da ich nur das Wissen anderer widergab) und bekamdur Ende der Grundschule durch das Wissen über den Holocaust meine ersten Glaubenszweifel, die dann in der 6. Klasse zum de-facto Atheismus führten . Bunte Sachbücher erklärten mir die Welt und bald kämpfte ich morgens beim Frühstück mit meinen Eltern um Teile der Zeitung. Ich las vieles einfach so, ohne es groß zu verstehen und viel zu oft, obwohl ich ein Warum-Kind war, ohne nachzufragen. (Das sollte sich noch wiederholen...) Je mehr ich las, desto mehr setzte ich mich von Altersgenossen ab. Ich spielte natürlich viel draußen (und auch N64 vor dem Fernseher), aber war immer ruhiger und verschlossener als Altersgenossen.
Mit denen konnte ich auch nicht über Politik reden. Das ist in der 5. oder 6. Klasse nichts ungewöhnlich, klar. In dem Alter hat man andere Sorgen. Die Pubertät setzt ein, der Stimmbruch blamiert dich im Musikunterricht, Lehrer verlieren ihren vormaligen Götterstatus. Ich eckte an. Ich war ein schlechter Politiker, machte mich ungewollt und oft unbewusst lächerlich.
Ungefähr ein Jahr vor meinen Altersgenossen begann ich, über Parteien und die Unterschiede zwischen ihnen Nachzudenken, las aufmerksam den sogenannten "Weltteil" der Lokalzeitung zu studieren, guckte Dokus im Fernsehen. Ich hatte zwar einen Computer, aber keinen Internetzugang und so blieb ich länger als schon damals üblich auf das Informationsdreieck Rundfunk, Magazine, Zeitungen angewiesen.
Warum ein Jahr vor meinen Altersgenossen? Nun, ich kann das deswegen so genau sagen, weil die ersten Mitschüler, mit denen ich eingermaßen vernünftig darüber reden konnte, in der Stufe über mir waren. Der Pausenhof wurde zum Forum, zum Platz hitziger Debatten und rhetorischer Duelle ohne Publikum in einer ruhigen Ecke. Randfiguren unter sich.
Worum ging es? Um Politik und mein Verhältnis zu ihr. Wie jeder andere Mensch auch bin und war ich ziemlich naiv. Lange, für meinen Geschmack in der Retrospektive viel zu lange, nahm ich Geschriebenes und Gesprochenes für bare Münze, ohne Einschränkung. Doch ein Ereignis veränderte meine Medienauffassung: In der 7. Klasse zeigte uns der Religionslehrer eine Doku über die Zeugen Jehovas. Wobei, Doku ist das falsche Wort. Es war ein Hassfilm, ohne Zweifel. Ich war schon damals fern jeglicher Sympathie für diese Gruppe, aber immer und immer wieder grausige Beschreibungen von Kindesmisshandlung gemischt mit Einschüben zornig-düster gehauchter Bibelzitate waren für mich absolut offensichtlich und unerträglich. Mein Religionslehrer (eng mit der Familie befreundet und seeeehr christlich) stand da offensichtlich voll hinter und war auch zufrieden, als meine Mitschüler anschließend kritiklos den Inhalt wiedergaben, ohne auch nur ein bisschen zu hinterfragen oder die zweifelhaft-manipulative Machart zu bemerken. Ich kam mir vor wie ein Einäugiger unter den Blinden und nahm in einem wütenden Redeschwall den Film auseinander.
Doch ich erntete Unverständnis, sowohl von den Mitschülern als auch vom Lehrer.
Das war eine Zeitenwende für mich. Ich will mich jetzt nicht als unfassbar überlegen zu dieser Zeit darstellen, denn was den anderen an meinem Wissen und kritischen Denken fehlte, machten sie durch weit überlegene soziale Fertigkeiten wieder wett (etwas, was ich lernen musste). Aber dennoch hat es mich überrascht. Das war eine Gymnasialklasse, die einfach schluckte, was sie vorgesetzt bekam.
Ich begann, alles zu hinterfragen. Kritisches Denken wurde zu einem ständigen Begleiter. Es kam wie es kommen musste: Der Graben zu meinen Mitschülern wuchs. Zudem stieß ich auf Verschwörungstheorien und anderes Machwerk, das genau in meinen damaligen Gemütszustand passte. 9/11, das war für mich zu dem Zeitzpunkt klar, war ein Komplott. Ich machte genau die Fehler, die ich anderen vorwarf und wählte Informationen selektiv und einseitig aus, glaubte zu schnell und zu leicht geschriebenen Worten, solange sie mir in den Kram passten.
Das sonstige politische Tagesgeschehen verfolgte ich mit wachsender Aufmerksamkeit. Als meine "Verschwöreritis" abklang, wurden die Politikteile von Spiegel, Focus und Stern zu meinen Hauptinformationsquellen. Das Fernsehen begann ich abzuschreiben und nur noch für Vorabenddokus zu nutzen. Nachdem ich vorher Historiker werden wollte (jeder ist mal jung...), war nur Journalist mein Traumberuf. Ab der 8. und 9. Klasse wurde es schon schwierig, mit meinen Eltern und anderen Erwachsenen über Politik zu sprechen, denn ich nutzte um meine Argumente zu untermauern oft und gerne ein unbarmherziges Faktenbombardement. Zum Glück kannte ich zu dem Zeitpunkt ähnlich tickende Mitschüler, die mich oft in leidenschaftliche Diskussionen verwickelten.
Mit der Zeit wanderten meine politischen Ideale von links zur Mitte hin, bis ich dann nach langen Jahren des Herumirrens zwischen den Stühlen und Parteien meine Richtung fand: Ich bin ein Progressiver, was in etwa dem entspricht, was ein Amerikaner "Liberal" nennen würde. Wobei mit der Zeit Einschränkungen hinzukamen, beispielsweise bin ich kein Freund direkter Demokratie.
Problem: Ich fühle mich von keiner Partei vertreten. Die konservative CDU ist mein natürlicher Feind, die post-schröderische SPD ein Feind jedes klar denkenden Menschen, die Grünen sind zu weltfremd, naiv und unrealistisch, die FDP wurde von Westerwelle und den ständigen Koalitionen mit der Union ruiniert. Die Linke wiederum präsentiert sich als eine Mischung aus armseligen Ex-SEDlern, noch armseligeren Ex-SPDlern, ziellosen, entscheidungslosen Menschen, die sich im Stich gelassen fühlen (meinetwegen zu Recht, aber was habt ihr in der Politik zu suchen?) und Leuten, die rechts und links nicht unterscheiden können. Mit vielen Punkten der Piraten stimme ich überein, aber was ist nach dem furiosen Medienstart mit der Partei passiert? Die Öffentlichkeitsarbeit ist nicht selten ungeschickt und unprofessionell; Vertreter haben gegen etablierte Politiker in Podiumsdiskussionen keine Chance und allgemein fehlt ein Gesicht. Tauss macht nur Ärger und zählt nicht.
In meiner Not verkläre ich schon die alten Tage der FDP, als sie noch mit der SPD koalierte, und wünsche mir diese Partei zurück.
Tja, soviel zu meinen politischen Grundauffassungen und wie ich da hin gekommen bin. Dieser fast schon autobiographische Beitrag ist als Einleitung und Grundlage späterer Äußerungen zum politischen Tagesgeschehen zu verstehen, von denen es mit Sicherheit genügend geben wird. Er soll Fragen vorbeugen und mir in nächster Zeit Erklärungen ersparen.
P.S.
Hier sollte ursprünglich ein anderer Text stehen, aber der war noch viel verschwurbelter und ging zu sehr in die (teils persönlichen) Details. Manchmal muss man sich trauen, die Arbeit einer Stunde mit einem Tastendruck zu vernichten und noch einmal völlig von vorne anzufangen...
ddcno1 am 25. Juli 10
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