Burkas, Sarazzin und Vietnamesen
Jap, nun ist es geschehen: Auch ich bedeutungsloser Blogger fache das von dem Atem vieler lauter Stimmen angefachte Feuer des Integrationsstreites mit an.
Integration, die Aufnahme von Minderheiten in eine funktionierende Gesellschaft, wird oft falsch verstanden, rhetorisch instrumentalisiert und taugt als Thema hervorragend für Schlagzeilen, Talkshows und, äh, Blogbeiträge. Grundsätzlich wird ständig darüber debattiert und man findet jederzeit jemanden, der eine grundsätzlich andere Meinung dazu vertritt als man selbst. Toller Stoff also!
Ein Fehler wird immer wieder gemacht und das ist das Verwechseln von Integration und Assimilation. Integration bedeutet, dass eine Gruppe oder ein Individuum in seinem gegenwärtigen Zustand seinen Platz in einer Gesellschaft findet. Assimilation bedeutet, dass eine Gruppe oder ein Individuum seine kulturelle Identität aufgibt und die der Gesellschaft annimmt, in die er aufgenommen werden will. Assimilation ist nicht immer freiwillig, sollte dazugesagt werden.
Politiker reden oft von Integration, meinen aber in Wirklichkeit nicht selten Assimilation. Man pickt sich kulturelle "Schwachpunkte" einer Minderheit heraus und erwartet, dass diese zum Wohle der "Integration" verschwinden mögen. Dass dabei oft und gerne übertrieben und polemisiert wird bedarf eigentlich kaum einer Erwähnung.
Integration funktioniert so nicht. Integration bedeutet, dass auch Frauen mit Kopftuch oder meinetwegen Burka über die Straße gehen dürfen und dass dies von dem Rest der Gesellschaft akzeptiert wird. Ich gehöre bestimmt nicht zu denen, die die Verhüllung der Frau gut finden oder fördern würden, aber man sollte sich stets hüten, anderen seine Auffassungen aufzuzwingen.
In Frankreich sehen das manche Politiker der korrupten Sarkozy-Dynastie anders: Burkas wurden gerade erfolgreich verboten. Neben der Abschiebung der Roma eine weitere politische Nebelkerze mit dem Zweck der Ablenkung von bedeutenderen Themen und der Anbiederung an den hüben wie drüben gefürchteten rechten Rand.
Als ob sich durch den Verbot eines Stoffstückes die Menschenrechtslage der Frau bessern würde! Während man auf der einen Seite mit dem erhobenen Zeigefinger also irgendwelche Menschenrechte zu verteidigen vorgibt verletzt man sie auf der anderen durch die Abschiebung einer unbeliebten, ja seit Jahrhunderten regelrecht verhassten Minderheit. Eine Volksgruppe wird wieder einmal pauschal stigmatisiert, schikaniert und dann mal eben ausgewiesen. Man kann fast den zivilisierten heutigen Verhältnissen in Europa dafür danken, dass man sie nicht gleich an die Wand stellt...
Folge des ganzen: Liberalere Zeitungen und Politiker regen sich ein wenig auf, Amnesty International und die UN schreiben böse Briefe und das war es.
Die Inkonsequenz geht noch weiter: Politiker verbreiten bis heute das Märchen, die Invasion Afghanistans hätte die Menschenrechtssituation in dem Land verbessert und die Rechte der Frau gestärkt. Doch in der Realität geht die Tendenz eher in die andere Richtung, kann Karsai um sich bei konservativeren Stammesfürsten einzuschmeicheln Gesetze durchboxen, die die Frauenrechte einschränken und mal eben Internetfilter für dieses ebenso arme wie unregierbare Stammesland einführen, um eine eventuelle wache Elite in Zaum zu halten.
Aber darum soll es hier nicht gehen.
In der Überschrift habe ich Thilo Sarazzin erwähnt und entsprechend sollte ich ein paar Worte zu ihm finden. Dabei will ich das eigentlich gar nicht. Sarazzin ist meiner Meinung nach eine extrem uninteressante und vergessenswerte Figur, der man eigentlich keine Aufmerksamkeit schenken sollte. Der seit Jahren für seine lockere Zunge bekannte nun baldige Ex-Bundesbankchef fühlt sich schlicht als etwas besseres und sehnt sich nach öffentlicher Aufmerksamkeit. Mit der Bildzeitung findet er einen begeisterten Aufgreifer seiner kruden Thesen ("Türken sind doof!" und "Ausländer raus!" mit ein paar mehr Sätzen und etwas netter formuliert), der rechte Teil des Bürgertums applaudiert, der linke regt sich auf und die Mitte fragt sich, was der Blödsinn eigentlich soll.
Seine Methode: Bekanntes Feindbild aufgreifen, klischeegeladen ein paar genehme Fakten rauspicken und daraus eine mehrere Jahrzehnte in der Zukunft liegende pseudoapokalyptische Zukunftsversion für einen von kleine Ahmeds, Mehmends und Mohammeds überschwemmten deutschen Kindergarten direkt neben der zur Moschee umfunktionierten Kirche zu spinnen. Das ist derart abwegig, da gibt es gar nichts zu diskutieren.
Aber wir wissen ja alle, wie die Medien funktionieren. Ohne eine gute Story läuft nichts. Da zu Sarazzin jeder mit fluginsektenhaftem Drang zu Studiolicht etwas sagen muss, gibt es reichlich Stoff.
Also weg von diesem Unsinn hin zu den echten Problemen bei der Integration, die viel zu oft einfach übersehen werden. Wie oben bereits erwähnt sorgt alleine der Begriff der Integration für genug Verwirrung. Man fürchtet sich um "Parallelgesellschaften" und ignoriert fleißig, dass es bei der Integration darum geht, mit einer fremden Gruppe zu koexistieren, welche ihre Identität dabei nicht verliert. Das bedeutet, dass man sich nicht als Vermieter panisch dagegen wehrt, dass eine türkische Familie mit Kind und Kegel in sein rein deutsches Mietshaus einzieht. Das bedeutet, dass man sich anschließend nicht darüber aufregt, dass die Leute es wagen, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten und die Frau außerhalb der Wohnung nur mit Kopftuch anzutreffen ist.
Aber stattdessen sind Vorurteile schon in Kinderköpfen tief verankert. Als ich damals eingeschult wurde kam in meine Kleinstadtmusterschulenklasse auch ein türkischstämmiger Junge. Niemand wollte sich neben ihn setzen, nur ich war dazu bereit. Außerhalb des Sportunterrichts wurde der freundliche und lebhafte Junge, der langsam aber beständig sein Deutsch verbesserte, gehänselt und ausgeschlossen. Erst gegen Ende der 4. Klasse konnte man ihn als integriert bezeichnen.
Ich war damals ebenso schockiert über das Verhalten meiner Mitschüler wie ich es heute bin. Sogar Audrücke wie "Kümmeltürke" kamen kaum Sechsjährigen damals über die Lippen. Da fragt man sich doch, was solche Menschen denken wenn sie erwachsen sind.
Quer durch die Gesellschaft findet man einen meist unterdrückten und gerne bestrittenen Hass vor fremden Menschen / Ideen und vor allem Sprachen. Ein großer Fehler jeder Integrationsdebatte ist es, die Fehler und Probleme nur bei denen zu suchen, die in diese Gesellschaft aufgenommen werden wollen. Probleme auf Migrantenseite wird aufgeblasen und dominieren die Debatte (neben der öffentlichen Entrüstung über Wirrköpfe, die ihre kruden Ansichten verbreiten).
Halten wir es einfach fest: Es ist verflucht schwierig, in einem westlichen Industrieland aufgenommen zu werden. Eine sich nur langsam auflösende Sprachbarriere, sture und desinteressierte Behördenvertreter, hohe Anforderungen bei Tests, die fehlende Anerkennung von Bildungsabschlüssen (ein gigantisches, extrem wichtiges Problem!) und viele andere Dinge erschweren denen, die es wirklich wollen, eine erfolgreiche Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt. Fremdenhass und eine hysterische Politik, der seit langem die Vernunft fehlt, kommen noch obendrauf.
So, Vietnamesen waren auch noch in der Überschrift. Werden gerne vorgeschoben, wenn es um "gelungene Integration" geht. Ist nicht ganz falsch, aber das sind zu einem Großteil höher qualifizierte Leute, die zudem in der DDR, bzw. dem ehemaligen Gebiet der selben keine wirkliche Konkurrenz haben. Wer also sagt "Die Vientamesen integrieren sich viel besser als die Türken!" übersieht den Bildungsunterschied. So einfach ist das.
Zum Ende eine Zusammenfassung meiner Position zu der ganzen Sache: Die Debatte nervt, wird von viel zu vielen Leuten zur persönlichen Profilierung genutzt und zieht Schwachsinnsäußerungen bekannter Persönlichkeiten an wie der Dreck die Fliegen. Integration ungleich Assimilation, Kopftücher und Burkas können getragen werden solange kein Zwang dahinter steckt und wir als Gesellschaft sollten es den dringend benötigten Immigranten einfacher machen, anstatt ständig Forderungen in diese Richtung zu stecken. Die meisten von ihnen sind fleißiger und deutscher als jeder Deutsche und verdienen eine solche Behandlung nicht.
ddcno1 am 15. September 10
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